Rede Gerhard Moser, Zentralbetriebsrat

ORF für wen?

 

Nicht dass ich den langjährigen ORF-Generalintendanten Gerd Bacher sonderlich geschätzt hätte – zu tief wären da die ideologischen Gräben gewesen – trotzdem wird ein ihm zugeschriebener Spruch lange Bestand haben: Den Parteien, ich zitiere sinngemäß, ist es nie um den ORF gegangen, sondern nur darum, wie es ihnen im ORF ergangen ist.

 

Ja, es liegt beinahe im Wesen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – und insbesondere in Österreich, wo „Vitamin B“bekanntermaßen der Grundtreibstoff ist – dass der Parteienzugriff auf Strukturen, Finanzen, Programm und auch Personen ein immerwährender ist, und dass sich bei jedem Regierungswechsel neue Begehrlichkeiten entwickeln. Was allerdings die ÖVP-FPÖ-Regierung, man kann sie getrost eine rechtskonservative oder rechtspopulistische nennen, seit ihrem Amtsantritt dem ORF und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern antut, das hat es zumindest in meiner Erinnerung noch nie gegeben.

 

Da wird jemand zum Stiftungsratsvorsitzenden, eine Funktion vergleichbar mit der eines Aufsichtsratspräsidenten, gewählt, der schon Monate zuvor mit notorischem ORF-Bashing aufgefallen ist: Von Jobs, die wackeln hat er im Februar gesprochen. Die Schließung von Korrespondentenbüros hat er erst unlängst gefordert, weil ihm und wohl auch seinen Parteikameraden die Berichterstattung über die Ungarn-Wahl missfiel. Von einem „linken Endkampf“im ORF hat er gefaselt, obwohl gerade die Rechte in die Kriegstrompeten bläst. Und gleich nach seiner Wahl durch schwarze, blaue und einen roten Stiftungsrat aus dem Burgenland hat er via Boulevard Publikum und ORF-Belegschaft mitgeteilt, dass in den Landesstudios zu wenig gearbeitet werde, und dass die Rundfunkgebühren halbiert werden müssen.

 

Was geschähe wohl mit so einem Mann in anderen, privaten, halbstaatlichen oder staatlichen Unternehmen? Man hätte ihn nie in diese Funktion gehievt und spätestens nach den letzten öffentlichen Ausritten, die ja nichts anderes als die Androhung des radikalen Zurückstutzens beziehungsweise der Zerschlagung des von ihm zu beaufsichtigenden Unternehmens bedeuten, mit Schimpf und Schande aus dem Amte gejagt.

 

Ja, dieser Mann, heißt Norbert Steger. Er war einmal Vizekanzler dieser Republik, also der Politik aber auch der Wirtschaft nicht fern. An ihm kann man beispielhaft sehen, wie aus einem selbsternannten „Paradeliberalen“ein rechtspopulistisches Sprachrohr, ja, ein „Zuchtmeister der Anstalt“wird. Ganz nach dem Motto: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.

 

Das Problem, vor dem wir heute und hier stehen, heißt aber nicht Steger oder nicht nur Steger. Der ist nämlich kein „Wolf im Schafspelz“, sondern genau umgekehrt: ein Schaf im Wolfspelz.

 

Diese Regierung hat nämlich einen perfid ausgeklügelten Masterplan für die Aneignung bis hin zur Zerschlagung des ORF: Man lasse einen oder mehrere rechte Rabauken vorpreschen und auf die Pauke hauen, während sich der schwarz-türkise Politpartner und eigentlicher Machthaber zuerst vornehm zurückhält und in beredtes Schweigen hüllt, bis er in dieser aufgeheizten Stimmung Reformbedarf ortet, Alibi-Enqueten abhält, und schließlich eine Gesetzesnovelle vorlegt, die sich mit den Plänen der rechten Paukenschläger grosso modo deckt. Aufwertung der privaten und sich in deutschem Besitz befindenden Kommerzsender. Großzügige Förderung des Presseboulevards gepaart mit Einsparungen bei einem ORF, der ohnehin schon immer unterfinanziert war.

 

Das alles verbrämt man auch noch mit Themen wie Digitalisierung und öffentlich-rechtlicher Auftrag, als wären diese gerade erst erfunden worden. Ein an Erpressung grenzendes Manöver, an dessen Ende politisch willfährige statt qualitätsvoller, kritischer Medien stehen werden. Das ist nicht mehr Neoliberalismus, das ist der Weg in eine illiberale Demokratie, wie sie der ungarische Staatschef zum alleingültigen Programm erhoben hat.

 

Das Wort „Orbanisierung“ist in Medienfragen aber auch in anderen politischen Zusammenhängen zuletzt öfters gefallen. Ja. Wir müssen nur ein wenig über die Grenzen schauen, um zu erkennen, wie in den meisten osteuropäischen Ländern aber auch in einigen westeuropäischen mit den öffentlich-rechtlichen Sendern umgegangen wird. Ungarn, Slowakei, Polen, Serbien, Rumänien und so weiter – das sind bekannte Beispiele für ein Zusammenspiel von unverhülltem staatspolitischem Druck und finanzieller Knute.

 

Und in den restlichen Ländern Europas läuft in unterschiedlichen Intensitäten seit Jahren, nein, seit Jahrzehnten ein permanenter Kampf gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, geführt von einer Allianz aus privater Konkurrenz und parteipolitischem Neoliberalismus. Letztes trauriges Beispiel ist Dänemark, wo die Rundfunkgebühren abgeschafft und das Budget des Senders gleich um 20 Prozent gekürzt worden ist. In Norwegen wiederum hat die Belegschaft bis vor kurzem gestreikt, um kollektivvertragliche Mindeststandards und insbesondere eine gerechte Behandlung freier Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu erreichen.

 

Die Liste ließe sich noch fortführen, über Spanien bis hin zur BBC, aber ich möchte noch einmal kurz zurück zum ORF, um zu zeigen, wo wir jetzt, schon vor einer Gesetzesänderung, stehen: 

 

Chronische Unterfinanzierung, weil die Gebührenanpassungen der letzten Jahrzehnte weit unter den Inflationsraten liegen. 

 

Personalsparpakete seit gut zehn Jahren, die dazu geführt haben, dass inzwischen 25 Prozent der Belegschaft, also jeder vierte, weg ist, und die wenigsten Posten nachbesetzt worden sind. Und jetzt sollen bis 2021 noch einmal 300 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen eingespart werden. 

 

Wie, bitte, soll das gehen bei einem ständig wachsenden Programmangebot? Das fragen sich nicht nur die Betriebsräte und Betriebsrätinnen, das fragt sich die Belegschaft, die trotz aller Einschnitte weiterhin hochmotiviert am Produkt Qualitätsjournalismus arbeitet. Fragt sich nur, wie lange wir das mit immer knapperen Ressourcen noch können und wie lange wir es nach den Wünschen des heimischen Rechtspopulismus noch dürfen. Umso wichtiger sind Kundgebungen wie die heutige, sind breite Initiativen für einen unabhängigen, finanziell abgesicherten ORF und für eine echte Presseförderung, die ausschließlich dem Qualitätsjournalismus dienen soll.

 

Während der ORF seit kurzem eine Kampagne mit dem Titel „ORF für Sie“führt, sagen wir: „Wir für den ORF“.Im Übrigen bin ich der Meinung, dass der Verkauf des Funkhauses rückgängig zu machen ist, und dass das Radio dort bleibt, wo es hingehört: ins Funkhaus!

 

Wien, Karlsplatz

6. Juni 2018