Rede Paul Gulda, Musiker

Der ORF soll bleiben, wo er hingehört

 

Ich darf hier stehen als Vertreter einer Gruppe, die schon genannt wurde, die klassische Musik, die dem ORF abertausende Stunden von Liveaufnahmen verdankt, von denen das kulturelle Profil Österreichs zehrt, und zwar in aller Welt. Das gäbe es in dieser Form nicht, wenn es den ORF nicht gäbe. Dieses Land bezieht einen großen Teil seiner Werbewirksamkeit und seiner Identität aus diesem zugegeben nicht immer massenwirksamen Segment, aber es ist nun einmal eine Tatsache.

 

Eine andere Tatsache, die schon angedeutet wurde, ist die regionale Berichterstattung zu kontroversiellen Themen. Stichwort, der Verein Refugius im Burgenland, dem ich vorstehe. Wer würde das sonst machen, die Bevölkerung von solchen Dingen informieren? 

 

Ich habe miterlebt, wie die Medienlandschaft in Italien zusammengebrochen ist. Wir können uns glücklich schätzen, dass wir nicht auf diesem Niveau gelandet sind, auch nicht auf dem Niveau von Ungarn, Polen oder den USA, von Russland oder China. Wir haben immer noch einen starken ORF, dem ich unglaublich inspirierende Musikerlebnisse verdanke, die mich geprägt haben, Abende, wo ich auf der Autobahn das Radio aufgedreht und eingeparkt habe und nicht mehr weitergekommen bin, weil die Sendung so spannend war.

 

Was ist nicht alles passiert, um den ORF zu unterminieren in seiner kulturellen Bedeutung? Eine völlig niveaulose Diskussion, die wir über Jahre führen mussten, über die Existenzberechtigung eines Radiosymphonieorchesters in einem Land wie Österreich, wo sich Slowenien ein Radiosymphonieorchester leistet – mit einer Bevölkerung von eineinhalb Millionen Menschen. Ich habe vor einigen Monaten das Glück gehabt, in einer TV-Sendung des niederländischen Staatsfernsehens aufzutreten, sie haben aus Wien gesendet, sie senden jede Woche eine Stunde lang ein Liveprogramm mit klassischer Musik, manchmal auch nicht ganz so klassischer Musik mit einem Sendeanteil von 5 bis 8 Prozent. Warum gibt es eine solche Sendung nicht im österreichischen TV, mit dem Profil, das wir hier haben?

 

Ich betrachte den ORF als so etwas wie Daseinsvorsorge, wie die Wasserversorgung, Straßen, Schulen. Public Radio ist Daseinsvorsorge. Das ist eine Aufgabe, die der Staat ohne kommerzielles Interesse wahrzunehmen hat. Das sind Bildung, Fortbildung, Wissenschaft, Kultur, gesellschaftlicher Diskurs. Selbst wenn dieser Public Television- und Public Radio-Auftrag bedeutet, dass der ORF mittelfristig etwas kleiner geführt wird, halte ich das für weniger schädlich als den Ausverkauf an den Kommerz und an die Politik. Die Wahlfreiheit gibt es. Sie können sich immer noch FPÖ TV anschauen, wenn Sie das wollen oder, ein ganz schlimmes Beispiel, Breitbart TV, das gibt es ja auch, noch nicht bei uns, aber es wird kommen.

 

Und wegen der topographischen Nähe schließe ich mit einem ganz bestimmten Stichwort, weil mich mit dem Wiener Funkhaus sehr viele persönliche und mitreißende Erlebnisse verbinden. Das Funkhaus und seine schleichende Demontage stehen stellvertretend dafür, was mit dem ORF passiert. Er soll dort bleiben, wo er hingehört: nämlich in die Mitte der Stadt, in die Mitte des Landes und in die Mitte unserer Gesellschaft.

 

Wien, Karlsplatz

6. Juni 2018