Wer hat Interesse an der Schwächung / Zerschlagung des ORF?

© rodof
© rodof

Naturgemäß wünschen sich etliche private Medieneigentümer eine Schwächung der Konkurrenz. Es gibt aber auch politische Kräfte, die die Kontrolle ihres Tuns durch einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk gern aus dem Weg hätten.

Damit die ORF-Journalist/innen ihrem Job als „Anwält/innen der Öffentlichkeit“ gerecht werden können, bedarf es hoher Personal- und Zeitressourcen (wie bei allen seriösen Medien).

Von ORF-Journalist/innen wird Äquidistanz zu allen Parteien verlangt. [1] Solche Äquidistanz ist mit dem journalistischen Ethos aber nur so lang vereinbar, wie Parteien für die Rechte, die Würde und den Wohlstand aller Menschen im Land Politik machen.

 

Wo die viel beschworenen humanistischen Werte keine Rolle mehr spielen, weil es nur um Macht geht: Dort können Journalist/innen nicht „neutral“ reagieren. Selbst dann nicht, wenn eine Mehrheit der Bevölkerung die herabsetzende oder gar menschenunwürdige Behandlung bestimmter Gruppen, Entsolidarisierung, Sozialabbau und dergleichen mehr billigt.


[1] … Sicherung der „Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Berücksichtigung der Meinungsvielfalt, die Ausgewogenheit der Programme sowie die Unabhängigkeit der Personen und Organe“ – ORF-Gesetz, §1, (3).

 

 

Drohende Unterwerfung

Steht der kritische ORF-Journalismus vor dem Aus?

von Maximilian Gottschlich

 

Am Umgang mit öffentlicher Kritik lässt sich die demokratische Reife von Politikern und politischen Parteien ablesen. Liberale Demokratien leben von der notwendigen, spannungsreichen Distanz zwischen dem System der Macht und dem publizistischen System der Machtkontrolle durch kritische Berichterstattung. Kritik und Kontrolle sind kein Selbstzweck oder dienen der Eitelkeit einer privilegierten Journalistenkaste, sondern sind eine demokratiepolitische und moralische Verpflichtung: Sie stehen im Dienst der Aufklärung und der freien Meinungsbildung. Denn nur unter den Bedingungen von Informationsfreiheit und freier Urteils- und Meinungsbildung lässt sich auch der Anspruch gemeinsamer Wahrheitssuche einlösen. Weil wir davon ausgehen müssen, dass niemand im Besitz der ganzen Wahrheit ist, müssen wir alles dafür tun, damit sich möglichst viele Menschen an der gemeinsamen Wahrheitsfindung beteiligen können. Darin liegt die Grundidee der Medienfreiheit, wie sie der englische Philosoph John Stuart Mill bereits im 19. Jahrhundert formuliert hat und wie sie bis heute als normative und professionelle Grundlage journalistischen Handelns dient.

 

Ziel allen medienpolitischen Handelns des demokratischen Rechtsstaates ist es daher, die Rahmenbedingungen bereitzustellen, dieses hohe Gut der Kommunikationsfreiheit größtmöglich zu schützen und darauf zu achten, dass es nicht durch politische oder ökonomische Macht – z. B. Monopolbildung – gefährdet wird. Jede andere Art staatlicher Einmischung ist von Übel. 

 

Im Unterschied zur liberalen Demokratie sind „Illiberale Demokratien“ bestrebt, diese durch mediale Vielfalt und Unabhängigkeit garantierte Kommunikationsfreiheit zugunsten einer Gleichschaltung der Medien und damit der öffentlichen Meinung zu ersetzen. Denn nur gleichgeschaltete Medien sind für die politischen Akteure „Illiberaler Demokratien“ der Garant dafür, die Staatspropaganda möglichst ungefiltert unter das Wahlvolk zu bringen. Ungarn liefert dafür reichlich Anschauungsmaterial: Nahezu der gesamte kritische Journalismus des Landes wurde in den vergangenen Jahren mundtot gemacht. Sowohl Print- wie elektronische Medien sind nahezu durchgehend Viktor Orbáns Meinungsdiktat unterworfen. Ähnlich ist die Situation in Polen. Das medienpolitische Ziel autokratischer Systeme ist immer das gleiche: Deutungshoheit im gesellschaftlichen Diskurs zu erlangen und mittels systematischer Beschneidung oder Ausschaltung der Unabhängigkeit der Medien abzusichern.

 

Österreichs Medienpolitik, sofern man überhaupt davon sprechen kann, kommt in gefährliche Nähe dieser Entwicklung. Im Fokus türkis-blauer Begehrlichkeit steht Österreichs Leitmedium, der ORF. Genauer: der unabhängige, kritische Journalismus des ORF. Wenn, wie es derzeit von den Regierungsparteien erwogen wird, mit dem geplanten, neuen ORF-Gesetz auch eine Umstellung von Gebühren zu einer Finanzierung aus dem Budget-Topf erfolgen soll, dann hat dies einen einzigen Zweck: Die Regierungsparteien wollen selbst über die Stücke befinden, die auf der größten Medienorgel des Landes gespielt werden. Damit würde der ORF-Journalismus – und nur um den geht es im Kern – an die mal kurze, mal lange Leine der Politik gelegt werden. Die zahlreichen Einschüchterungsversuche und Diffamierungen „unbotmäßiger“ ORF-Journalisten im ersten Regierungsjahr der türkis-blauen Regierung geben einen ersten Vorgeschmack dieser verschärften Gangart gegen den ORF.

 

Finanzierung aus dem Staats-Budget öffnet Tür und Tor für politische Willkür gegenüber dem politischen Journalismus. Mit gutem Grund warnt daher der Redakteursausschuss des ORF von der „größten existenziellen Krise“, die dem ORF seit seinem Bestehen droht. Man muss es ganz klar sagen: Der Angriff auf den ORF mit dem Ziel eines politisch gefügigen, weil abhängigen Journalismus ist ein Angriff auf die Demokratie, die ohne öffentliche Kritik und Kontrolle zur Scheindemokratie, eben zur „Illiberalen Demokratie“ verkommt. Im Zeichen politischer „Message Control“, hochprofessioneller politischer PR, parteibetriebener Social Media-Kanäle und globaler Desinformationsstrategien bedeutet jede Schwächung des kritischen Journalismus auch eine verminderte Chance im „postfaktischen“ Zeitalter zu einer rationalen Urteilsbildung zu kommen. Diese rationale Urteilsbildung immer wieder aufs Neue möglich zu machen, ist der Sinn und die Rechtfertigung von Kritik – auch und gerade der journalistischen Kritik.

 

Es sollte das Interesse der demokratischen Öffentlichkeit sein, diesen kritischen Journalismus gegen jene in der Politik zu verteidigen, die noch nicht begriffen haben, dass ihre politische Macht im Dienst der Demokratie steht und nicht umgekehrt …